Nachgefragt Swissbau 2024

«Selbst wenn wir am Status quo festhalten, wird es uns, unserer Umgebung und unserer Wirtschaft schlechter gehen»

Die Architektin Birgitta Schock ist mit spannenden Erkenntnissen vom buildingSMART International Standards Summit in Rom zurückgekehrt. Sie ist überzeugt, dass die Baubranche nur vorankommt, wenn Silodenken grundlegend überwunden wird und die Zusammenarbeit ins Zentrum rückt.

Deshalb unterstützt Birgitta Schock mit Bauen Digital Schweiz | buildingSMART Switzerland und dem SIA die Austauschplattformen Swissbau Focus und Lab.

Birgitta Schock, wie lautet Ihr persönliches Fazit zum buildingSMART Summit, der Ende März in Rom stattfand?
Im Gegensatz zu früher, als es bei den Summits primär darum ging, Projekte der Arbeitsgruppen und Rooms in ihren Anfangsstadien zu präsentieren, war der Event dieses Mal sehr interaktiv. Im Zentrum stand das gemeinsame Schaffen. Mittlerweile umfasst buildingSMART International bald 30 Länder aus der ganzen Welt, darunter grosse Staaten wie China und Indien. Für mich war es inspirierend zu sehen, dass es trotz der grossen Anzahl an Teilnehmenden möglich war, sich in kleinen Gruppen zu treffen und zusammen Lösungen zu erarbeiten. Der Spirit vor Ort war geprägt von der Überzeugung, dass wir gemeinsam schneller vorwärtskommen.

Welche drei Erkenntnisse nahmen Sie nach Hause mit?
Zunächst sicher die Frage, wie wir als Europa innerhalb der buildingSMART-Community eine stärkere Stimme gegenüber den grossen Ländern bekommen können. Es braucht ein europäisches Forum mit dem Ziel, mehr Kraft in parlamentarischen Arbeitsgruppen zu erhalten. Dieses gemeinsame Verständnis hätte es vor ein paar Jahren noch nicht gegeben. Aus Schweizer Sicht ist ein solches Forum besonders wichtig, da wir die negativen Auswirkungen des gescheiterten Rahmenabkommens mit der EU spüren. Damit die Schweiz künftig nicht völlig aussen vor ist, müssen wir die europäischen Entwicklungen rechtzeitig in unser Land zurückholen.

Eine weitere Erkenntnis ist, dass aus einzelnen nationalen Bedürfnissen Ziele entstehen, die gemeinsam bearbeitet werden können. Ein Beispiel ist die sogenannte Healthcare Facilities Working Group, bei der es darum geht, beim Bau, bei der Ausstattung und beim Betrieb von Krankenhäusern länderübergreifende Standards zu etablieren. Krankenhäuser sind bekanntlich Kostentreiber, die wir mit gemeinsamen und verlässlichen Standards besser in den Griff bekommen könnten.

Als drittes Learning nehme ich mit, wie zentral datengetriebene Themen mittlerweile sind. Bis zum nächsten Summit im September 2023 entsteht beispielsweise ein Forum, initiiert von europäischen Ländern des Netzwerks, das Themen wie Nachhaltigkeit aus einer gesamtheitlichen, datenbasierten Sicht aufnimmt. Es braucht ein solches Forum mit wirklichen Kompetenzen sowie robuste, datenbasierte und messbare Vorgaben. Nur so können wir die Messbarkeit und Wirkung von Bauvorhaben am Ende verlässlich beurteilen und sie in Einklang mit anderen Werten der Baukultur, sozialen Fragen und Führung bringen.

Wie sieht es in puncto digitaler Transformation aus? Können Sie hier von konkreten Resultaten berichten?
Nein, denn es handelt sich um eine stetige Entwicklung. Daher wäre es falsch, von Resultaten zu sprechen. Vielmehr gibt es immer mehr Erkenntnisse und Projekte. Was ich sagen kann: Transformationsprozesse gehören heute auch in die strategischen Überlegungen, die sich Organisationen machen. Dies verlangsamt den Prozess und macht ihn oft zäh. Unabhängig von der Grösse einer Organisation sind hierarchisch geprägte Strukturen oft ein Hindernis für Transformation. Sie blockieren den Informationsfluss, ohne den eine Veränderung nicht stattfinden kann. Eine bittere Erkenntnis ist, dass Transformationsprozesse etwas sehr Persönliches sind und sich nicht ab Tag eins rechnen. Es braucht Investitionen in unterschiedlichen Bereichen, vor allem aber in Menschen. Es geht immer um den Menschen, der zunächst verstehen muss, wieso er etwas anpassen oder ändern soll.

Kein leichtes Unterfangen. Wie können wir die Kritikerinnen und Kritiker überzeugen?
Indem wir ihnen aufzeigen, was die digitale Transformation ihnen ganz persönlich bringt – zum Beispiel, dass ihre Arbeitsbelastung sinkt, wenn ihre Tätigkeit durch automatisierte Prozesse unterstützt wird. Ausserdem kann folgende Einsicht helfen: Selbst wenn wir am Status quo festhalten, wird es uns, unserer Umgebung und unserer Wirtschaft schlechter gehen. Wir können also entweder weiter nur die Gegenwart verlängern oder uns aktiv für eine bessere Zukunft einsetzen.

Inwiefern helfen Austauschplattformen wie der Swissbau Focus und das Swissbau Lab dabei, den Wandel in der Branche zu beschleunigen?

Grundsätzlich finde ich es tragisch, dass es überhaupt noch solche Plattformen braucht (lacht). Aber im Ernst: Die grosse Leistung von Swissbau Focus und Lab ist es, dass sie es schaffen, uns alle aus den Silos rauszuholen und ergebnisoffen zu sein. Im Vordergrund steht nicht die Show – also das Präsentieren von Leistungen –, sondern das gemeinsame Erarbeiten von möglichen Lösungen. Dabei werden nach der ersten Runde nicht gleich Resultate erwartet, und auch kritische Momente im Sinne von «Etwas funktioniert zwar noch nicht, aber wir arbeiten daran» haben ihren Platz. 

Warum engagieren sich Bauen Digital Schweiz / buildingSMART Switzerland und der SIA als Leading Partner an der Swissbau 2024?
Es braucht nach wie vor viel Entwicklungsarbeit, um das Wieso-Verständnis in den Köpfen zu verankern und letztlich auch den Markt reif für Veränderungen zu machen. Kontinuität ist hier unabdingbar. Deshalb setzen wir uns gemeinsam mit weiteren Verbänden und Institutionen für den offenen Austausch an der Swissbau ein.

Zurück zum buildingSMART International Summit in Rom: Gibt es etwas, das Sie gestört hat am Event? Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial?
buildingSMART International wurde 1995 gegründet. Das zeigt sich in den Organisationsstrukturen. Obwohl wir mit neuen Technologien arbeiten, ist das Ganze aktuell noch stark in Silos organisiert. Das hat lange funktioniert, doch nun kommen diese Systeme wie bei anderen Organisationen und Verbänden an ihre Grenzen. Meiner Meinung nach ist ein radikaler Wechsel notwendig, der mit den bestehenden Strukturen bricht. Sonst haben wir künftig nur «silosierte» Daten, die nicht mehr weiterentwickelt werden können.

Als Chairwoman von buildingSMART Switzerland haben Sie in Rom gewissermassen die Schweiz vertreten. Wo steht die Schweiz bei der digitalen Transformation im internationalen Vergleich?
Das werde ich oft gefragt, aber es gibt keine eindeutige Antwort auf diese Frage. Bei den Anwendungsfällen und im Use Case Management sind wir führend. Auch in Technologiefragen ist die Schweiz gut aufgestellt. Wenn es allerdings um die Kollaboration geht, tun wir uns schwer. Das Gärtchendenken hindert uns daran, international zu denken und zu handeln. Zudem ist der Markt in der Schweiz klein, weshalb die wirtschaftliche Notwendigkeit für beispielsweise offene internationale Standardformate aktuell noch weniger relevant ist. Da zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zu unseren Nachbarländern Deutschland und Österreich, deren Arbeit und Handeln stark durch europäische Vorgaben und Wettbewerbe geprägt sind.

Sehen Sie auch Vorteile dieses «Sonderstatus» der Schweiz?
Ja, die sprachliche Vielfalt unseres Landes bietet uns super Möglichkeiten. Wir sprechen häufig über den DACH-Raum, doch der französische und der italienische Sprachraum haben global gesehen ein sehr grosses Potenzial. Deshalb ist es wichtig, dass wir etwa im Forum francophone als sprachliche Gruppe von buildingSMART International aktiv dabei sind und unsere Stimme einbringen. Auch der Summit in Rom war in dieser Hinsicht bedeutsam für uns, damit wir künftig stärker im italienischsprachigen Raum mitwirken können. Ein weiterer Vorteil ist, dass es für viele Länder einen gewissen Vorbildcharakter hat, wie es die Schweiz trotz ihrer vier Sprachregionen und kulturellen Unterschiede immer wieder schafft, einen Konsens zu finden und die Dinge gemeinsam voranzutreiben. Und schliesslich behaupten wir uns am Markt durch Qualität und nicht durch Masse, und genau diese Qualität hat international einen hohen Stellenwert. 


Birgitta Schock

Birgitta Schock ist diplomierte Architektin ETH/SIA und Partnerin der schockguyan Architekten GmbH. Sie ist Chairwoman von buildingSMART Switzerland und Vorstandsmitglied des SIA.

buildingSMART International Standards Summit

Der buildingSMART Summit ging vom 27. bis 30. März 2023 in Rom über die Bühne. Der Branchenevent der globalen Vereinigung buildingSMART findet zweimal pro Jahr statt und bringt die internationale openBIM-Community zusammen. Die Vertreterinnen und Vertreter der rund 30 Mitglied-Länder treffen sich jeweils, um gemeinsame Standards und Services für die Baubranche zu diskutieren und zu entwickeln. Das übergeordnete Ziel ist die nachhaltige, produktive und kollaborative Zukunft der Bau- und Immobilienwirtschaft.